Lyrische Experimente im Gefühlslabor
Gerhard Köber, 1974 in Schäßburg geboren und mit sechs Jahren nach Deutschland ausgewandert, ist von Geburt an spastisch gelähmt und schreibt seit seinem 21. Lebensjahr. Mit „Gefühlsmolekülen“ legt er nun seinen ersten Gedichtband vor. Aufgegliedert in fünf thematische Segmente mit den programmatischen Titeln „Liebesprotonen“, „Wortkatalysatoren“, „Humanreagenz“, „Herzspaltung“ und „Kerndepressionen“ zeigt dieser Band eine Palette von Emotionen, die die Dynamik von Köbers Gedichten entscheidend prägen.
Das erste Segment, „Liebesprotonen“, vereint Gedichte voller erotischer Anspielungen und Metaphern, die bisweilen äußerst plastisch werden und ein explosives Gemisch aus tiefen Empfindungen und ursprünglicher, leidenschaftlicher Sexualität beinhalten. Das Bild des Feuers, Brennens, Verglühens zieht sich wie ein roter Faden durch die Gedichte, und immer wieder verfolgen Augen den Leser, Augen, die mal bernsteinfarben, mal tiefblau, aber immer unergründlich und verführerisch sind.
Dem gegenüber stehen die Segmente „Wortkatalysatoren“, in dem Köber Sprach- und Gedankenspiele betreibt, und „Humanreagenz“, das sozialkritisch geprägt ist und gefasstes Entsetzen über unsere gesellschaftliche Realität erkennen lässt. In dem bemerkenswerten Gedicht „Tausend Augen“ setzt sich der Autor mit seiner Behinderung und deren – meist abschreckender – Wirkung auf seine Mitmenschen auseinander.
Mit den Segmenten „Herzspaltung“ und „Kerndepressionen“ findet Köber zurück zur ausgehenden Liebesthematik, nur dass nun nicht mehr glückliche Liebe und sexuelle Erfüllung die zentralen Motive sind, sondern Liebeskummer, Trennungsschmerz und Angst vor der Einsamkeit. Dazu gesellen sich Hass und Wut, und wieder verfolgen den Leser Augen und Blicke, so dass sich motivisch der Kreis schließt.
Köbers erschreckend direkte und eindringliche Gedichte werden begleitet von den Illustrationen Georg Niedermeiers alias Sadbatu, ein Kunstwort, das sich aus den englischen Begriffen „sad but true“ herleitet, die charakteristisch für das Werk dieses jungen Künstlers sind. Diese Illustrationen sind Traumbilder, düstere Visionen, die Einsamkeit und Bedrohung, aber vor allem Machtlosigkeit zum Thema haben. Unendlich scheinende Weite und Größe paaren sich mit gedeckten Farben, so dass Fantasielandschaften entstehen, die im Nichts zu liegen scheinen. In Kombination mit Köbers Gedichten ergibt sich das Buch „Gefühlsmoleküle“: eine Mischung aus sprachlichen und bildlichen Elementen, aus Fiktion und Realität, deren nähere Betrachtung lohnenswert erscheint, auch wenn das Urteil letztendlich im Auge des Betrachters liegt.
Doris Roth
(Siebebenbürgische Zeitung, 16. Mai 2003)
Gerhard Köber: „Gefühlsmoleküle“. Mit Illustrationen von Georg Niedermeier, 102 Seiten, ISBN 3-9807067-1-0. Zu bestellen für 12,70 Euro, zuzüglich 1,50 Euro Versand, über http://www.gefuehlsmolekuele.de