Analyse: Klinsmann bittet um Verständnis
Frankfurt/Main - Sein letzter Kampf als Bundestrainer galt den eigenen Tränen. Jürgen Klinsmann nahm mit sichtbaren Emotionen Abschied vom Posten als Chefcoach der Fußball-Nationalmannschaft und gewährte dabei einen ungewöhnlich persönlichen Einblick in die Stunden der Entscheidung.
Nicht an den heimatlichen Strand von Kalifornien, sondern nach Baiersbronn im Schwarzwald hatte sich der 41-Jährige am Montag nach dem Ende der Weltmeisterschaft zur inneren Klausur zurückgezogen und in ländlicher Einsamkeit den Entschluss zur Aufgabe endgültig gefasst.
"Es ist mir alles andere als leicht gefallen. Ich bin aber nicht im Stande, die Arbeit mit der gleichen Energie und der gleichen Power weiterführen zu können", sagte Klinsmann. Nur mit großer Mühe und dank eines aufmunternden Tätschelns des ebenfalls aufgewühlten DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder brach der große Fußball-Reformer vor laufenden Kameras nicht in Tränen aus, als er an seinen während seiner Amtszeit verstorbenen Vater erinnerte. Er hatte die gesamte Zeit sichtlich feuchte Augen und mit seinen Gefühlen zu kämpfen.
Knackpunkt für den Entschluss, wieder komplett in die USA und zu seiner Familie zurückzukehren, war bereits der bittere K.o. im WM-Halbfinale gegen Italien. "Da ist der Gedanke schon gereift, dass ich die Kraft nicht mehr habe", berichtete Klinsmann und bat mehrfach um Verständnis für seine Entscheidung. "Da fällt man in ein Loch", sagte Klinsmann nach 24 Monaten als Bundestrainer und der positiven Bilanz von 20 Siegen, acht Unentschieden und sechs Niederlagen in 34 Partien.
Trotz des Abschieds will Klinsmann weiter im engem Kontakt mit seinem Nachfolger Joachim Löw stehen, den er mit seinen Lobeshymnen praktisch ins Amt gehievt hat. Damit sein Schatten nach der WM- Euphorie und Platz drei für seinen früheren Assistenten nicht zu groß ist, forderte er: "Man muss sich von der Person lösen."
Wichtiger sei, dass mit Löw die offensive Spielphilosophie und die zahlreichen von ihm angestoßenen Veränderungen im deutschen Fußball fortgeführten würden. Den Kontakt zu der von ihm aufgebotenen Mannschaft und dem von ihm zusammengestellten Trainerstab lasse er sich nicht nehmen. "Ich bin auch in Zukunft für die Spieler da."
Entgegen häufiger Vermutungen gab nicht seine Ehefrau Debbie den Ausschlag für die Aufgabe. Diese habe ihm die Entscheidung komplett überlassen. Er spüre aber den großen Wunsch, "zu meiner Familie zurückzukehren" und "in die Normalität mit der Familie überzugehen".
Ein halbes Jahr will Klinsmann Urlaub machen. Er versicherte, keine anderen Trainer-Angebote annehmen zu wollen. In der Wahlheimat USA war der Schwabe zuletzt mehrfach als Nationalcoach gehandelt worden. Ganz tatenlos will er aber auch nicht sein und sich ab sofort mit seinen beiden Geschäftspartnern wieder um seine Firma "soccer solutions" kümmern.
Klinsmann sieht offenbar keine Möglichkeit mehr, den Kraftakt mit Wohnsitz USA und Arbeitsplatz Deutschland aufrecht erhalten zu können. "Fußball ist eine Nonstop-Sache. Man muss in den Spiegel schauen können", sagte der 108-malige Nationalspieler. "Zwei Jahre hat das Wechselspiel funktioniert. Dort habe ich die Energie aufgetankt", rechtfertigte er nochmals sein Pendeln zwischen den Kontinenten.
Eine Job-Variante mit weniger Einsatz und mehr Zeit in den USA lehnte Klinsmann ab. "Ein reduziertes Modell wäre nicht möglich gewesen", sagte er. Er schloss eine Rückkehr als Bundestrainer aber doch nicht ganz aus. "Ich weiß nicht, was 2010 oder 2014 ist. Ich bin kein Hellseher."
(© dpa - Meldung vom 12.07.2006 14:33 Uhr)
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